Zero Waste und Minimalismus โ€“ Titelfoto

Zero Waste und Minimalismus haben nichts gemein

Zero Waste und Minimalismus โ€“ auf den ersten Blick haben diese beiden Konzepte eine Menge gemeinsam. Doch wenn man genauer hinschaut beziehungsweise hinhรถrt, dann erreicht man schnell das Ende der vereinenden Aspekte. Wรคhrend es den einen eher um hehre Ziele wie eine saubere Umwelt und eine lebenswerte Zukunft fรผr kommende Generationen geht, leiden die anderen eher unter der Angst vor dem Kontrollverlust. Solange alles schรถn geordnet und die eigene Produktivitรคt maximal optimiert ist, kann die Welt nebenan ruhig in apokalyptischer Art und Weise untergehen. Ob Zero Waste und Minimalismus zusammen funktionieren, hรคngt ganz von der Motivation ab.


Noch bis vor Kurzem dachte ich, Minimalisten seien einfach nur andere Weltretter. Minimalismus, dachte ich, gehe Hand in Hand mit Zero Waste und Nachhaltigkeit. Wer nichts konsumiert, produziert auch keinen Mรผll. Dann habe ich angefangen, das Thema zu recherchieren, mich mit Menschen zu unterhalten und ihre Beweggrรผnde kennenzulernen. Und siehe da: Die meisten Minimalisten sind vor allem eines: Egoisten, die sich um die Umwelt so viel Gedanken machen wie ein Texanischer ร–lmagnat. Da wird von Papptellern gegessen, aus Plastikbechern getrunken und als wohnungsloser Digitalnomade um die Welt gejettet als gรคbe es kein Morgen mehr.

Zero Waste fรผr eine bessere Umwelt

Das Prinzip von Zero Waste ist denkbar einfach: Vermeide mit deinem Konsumverhalten so viel Mรผll wie mรถglich und schone damit nicht nur die Umwelt, sondern auch wichtige Ressourcen. Die Anhรคnger dieses Lebensstils gehen weite Wege, um beispielsweise in Lรคden einzukaufen, in denen es Lebensmittel und andere Produkte ohne Verpackungen zu kaufen gibt (eine Liste dieser Lรคden in der Schweiz verbirgt sich hinter diesem Link). Dort kaufen sie Haarwaschmittel im Block, fรผllen sich die Nudeln lose in ein Glas ab oder besorgen sich ein Waschei, um Waschmittel zu sparen.

Ihre Kleidung kaufen Zero Waster vorzugsweise Second Hand und sie werfen Dinge nicht einfach weg, die andere noch gebrauchen kรถnnen oder die man zu anderen Gegenstรคnden umfunktionieren kann. Da wird aus der durchlรถcherten Jeans schnell ein schicker Einkaufsbeutel genรคht und das leere Marmeladeglas zum Einkochen von Frรผchten verwendet.

Der Hauptbeweggrund fรผr diese Menschen ist der Umweltschutz und dabei machen Zero Wastler nicht mal vor Weihnachten halt. Dass sie dabei oft weniger Dinge besitzen als der durchschnittliche Konsument ist nicht das Ziel, sondern eher ein Bonus.

Minimalismus fรผr ein optimiertes Umfeld

Der Standard-Minimalist hingegen fragt sich nicht in erster Linie, was er fรผr die Natur und die Umwelt tun kann. Vielmehr stellt er sich und sein eigenes Leben in den Mittelpunkt seines Interesses. Eine zentrale Frage der Minimalisten ist: Was bringt MIR das? Was ist der Mehrwert fรผr MICH? Will ICH mir das noch antun? Haarshampoo als Block? Wie unbequem โ€“ nein, danke. Zahnpasta als Pulver? Wie anstrengend โ€“ nein, danke. Herkรถmmliches Geschirr aus Porzellan? Das mรผsste man doch abwaschen, anstatt es einfach wegzuwerfen โ€“ nein, danke.

Das wรคre in Hinsicht auf Gegenstรคnde und Objekte ja noch nicht einmal so schlimm. Doch auch ihre Sozialkontakte und ihre sozialen Verpflichtungen bewerten die Anhรคnger des Minimalismus stur nach dem Prinzip: Wenn es mir nichts bringt, brauche ich das nicht. Da werden Freundschaften auf ihren Mehrwert hin untersucht und notfalls einfach gekรผndigt. Nur wer dem Minimalisten etwas zu bieten hat, wird in den “Genuss” kommen, Zeit in seinem Umfeld verbringen zu dรผrfen.

Minimalisten verschwenden keine Zeit mit anderen

Wer aber kein Auto hat, mit dem er den Minimalisten hin- und herkutschieren kann (weil dieser auf’s Auto genauso verzichtet wie auf alle damit verbundenen Verantwortungen und Kosten), wer kein Zimmer รผbrig hat, in dem der wohnungslose Digitalnomade immer wieder mal รผbernachten kann, wenn er gerade mal wieder im Lande ist, der wird es schwer haben, bei einem Minimalisten einen Stein im Brett zu haben.

Zum 75. Geburtstag der Oma, zu der die ganze Familie eingeladen ist? Nur, wenn es dem Minimalisten in den Kram passt und er fรผr sich einen Nutzen, einen Mehrwert daraus ziehen kann. Etwas zu tun, um anderen eine Freude zu machen oder einfach nur, weil es das Richtige ist, fรคllt dem Minimalisten unendlich schwer. Einem Menschen einfach mal fรผr eine halbe Stunde zuzuhรถren, einfach nur, weil dieser Mensch jemandem zum Reden sucht? Nee, geht nicht mit einem Minimalisten. Wenn am Ende des Gesprรคchs nicht eine Einladung zum Abendessen oder der Geheimtipp fรผr den nรคchsten Aktienkauf als Belohnung winkt, lassen sich Herr oder Frau Minimalist*in gar nicht erst auf den Stress ein, jemand anderem als sich selber Aufmerksamkeit und Zeit zu widmen. Reine Zeitverschwendung.

Andere lassen den Minimalisten maximal kalt

Minimalismus hat erstmal nichts mit Besitzlosigkeit, Verzicht oder Konsumeinschrรคnkung zu tun โ€“ auch wenn Minimalisten uns das Glauben machen wollen. Solange es dem Minimalisten einen Nutzen und einen Mehrwert bringt, wird er schon eine Rechtfertigung fรผr seinen Besitz und Konsum finden. Da wird dann schon mal gerne รผbersehen, dass die Produktion eines sรผndhaft teuren Smartphones mit einem angebissenen Apfel als Logo unter menschenunwรผrdigen Bedingungen geschieht, weil dieses Ding sich automatisch mit allen anderen Gerรคten des “Minimalisten” verbindet und ihm einen (imaginรคren) Mehrwert bietet (Verbesserung des Zeitmanagements und Optimierung der eigenen Produktivitรคt). Dass andere unter seiner Mehrwertsucht leiden mรผssen, lรคsst den Anhรคnger des Minimalismus auf maximaler Ebene kalt. Nachhaltigkeit ist eher etwas fรผr die anderen.

Dabei fing alles so schรถn an

Die Grundidee des Minimalismus hatte nichts mit den egoistischen Auswรผchsen zu tun, die wir heute vor allem bei jungen Erwachsenen beobachten. Da kehrten ganze Familien dem Massenkonsum und Kapitalismus den Rรผcken, beschrรคnkten sich auf das absolut Notwendige zum รœberleben und zogen sich sogar in die Berge oder die Wรคlder zurรผck, um ein einfaches, aber selbstbestimmtes Leben zu leben. Statt Dinge wegzuschmeiรŸen, wurde Upcycling betrieben. Die Euro-Palette wurde zum Bett, der Fรผnf-Liter-Liter Wasserkanister zur hรคngenden Dusche und aus der alten Bluse wurde eine Handtasche genรคht.

Zero Waste vs. Minimalismus โ€“ “Hauptsache frei”

Davon ist so gut wie nichts mehr รผbrig. Die echten Minimalisten kann man an einer Hand abzรคhlen. Heute trifft man auf Menschen wie Cรฉdric Waldburger. Der Schweizer App-Entwickler lebt als Digitalnomade รผberall auf dem Planeten, und besitzt nur noch 64 Gegenstรคnde, die bequem ins Handgepรคck passen. Handgepรคck? Ja, Handgepรคck. Herr Waldburger bevorzugt es nรคmlich, sich durch die Luft zu bewegen und das nicht zu knapp. In drei Wochen jettet er eineinhalb Mal um die Erde. Am Zielort angekommen steigt er fรผr gewรถhnlich in gehobenen Hotels ab, in denen er oft nur eine Nacht verbringt. รœber seinen รถkologischen Fussabdruck macht er sich dabei keine Sorgen.

Weder kรผmmert er sich um den Spritverbrauch der Flugzeuge, noch um die hunderte Kilogramm von Bettwรคsche, die nur seinetwegen pro Jahr gewaschen werden. “Das Schรถne ist, ich bin extrem frei in meinem Leben”, sagt er. Das Leben des Planeten und seiner Bewohner? Das interessiert ihn โ€“ wenn รผberhaupt โ€“ erst sehr viel spรคter. Er will vor allem eines: finanziellen Erfolg und den so schnell wie mรถglich.

Wer mehr รผber die Cรฉdrics dieser Welt erfahren mรถchte โ€“ denn Herr Waldburger ist nicht der einzige Pseudo-Minimalist โ€“ dem sei diese sehenswerte Dokumentation ans Herz gelegt.

Minimalistisch leben โ€“ Weniger ist mehr | Doku | SRF DOK

Echte Minimalisten โ€“ es gibt sie noch

Aber es gibt sie noch, die echten Minimalisten. Die, die erkannt haben, dass wir die erste Generation der Menschheit sind, die alles hat und trotzdem nicht glรผcklich wird. Die, fรผr die Statussymbole alle Kraft und Macht verloren haben und die sich nach weniger Haben und mehr Sein sehnen.

So wie Tanja Schindler, die ebenfalls im obigen Film vorgestellt wird. Sie hat sich fรผr ein minimalistisches Leben auf 35 Quadratmetern entschieden und sich dafรผr ein ร–ko-Mini-Haus gebaut, das sie jederzeit รผberall mit hin mitnehmen kann. Der jungen Frau geht es vor allem um den รถkologischen Fussabdruck, den sie mit ihrem Lebensstil hinterlรคsst. “Ein herkรถmmliches Haus versiegelt hunderte von Quadratmetern von Boden, der fรผr die Natur fortan nicht mehr zur Verfรผgung steht. Das ist รผberhaupt nicht รถkologisch. Daher ist mein Haus nicht fest installiert, sondern steht auf Stelzen und kann jederzeit verladen werden und mit mir den Standort wechseln” sagt sie.

Zero Waste und Minimalismus โ€“ auf die Motivation kommt es an

Der perfekte Schulterschluss zwischen Nachhaltigkeit, Zero Waste und Minimalismus kann durchaus funktionieren, wenn man es richtig macht und sich vor jedem Kauf drei Fragen stellt:

  1. Brauche ich das wirklich?
  2. Gibt es das auch in รถkologischer Form?
  3. Welchen Impakt hat die Herstellung, die Verpackung und der Vertrieb auf die beteiligten Menschen, die Umwelt und die Ressourcen?

Wenn Minimalisten anfangen, auch darauf zu achten, dass ihr Lifestyle minimale Auswirkungen auf die Gesundheit des Planeten hat, gehen wir einen Schritt in die richtige Richtung. Bis dahin aber sind Zero Wastler fรผr mich die besseren Menschen, weil sie das Wohl aller Lebensformen auf der Welt im Blick haben und nicht nur den eigenen Erfolg, das eigene Glรผck und den individuellen Nutzen.

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2ย Gedanken zu โ€žZero Waste und Minimalismus haben nichts gemeinโ€œ

  1. Der Artikel beschreibt genau das, was mir wรคhrend des Auseinandersetzens mit den Themen Zero Waste, Nachhaltigkeit und Minimalismus aufgefallen ist. Man kann beides vereinen, aber es braucht viel Zeit, Geduld und Durchhaltevermรถgen bis man die beiden Ziele erreicht.

    1. Vielen Dank fรผr deinen Kommentar. Manchmal freut es einen, zu hรถren, dass man nicht nur fรผr die Suchmaschinen schreibt ๐Ÿ™‚

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