Wer sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, wird früher oder später über den Begriff “Nachhaltigkeitsdreieck” oder auch “Dreieck der Nachhaltigkeit” stolpern. Dieses Dreieck versinnbildlicht die Beziehung, in der die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – zueinander stehen. In diesem Artikel erfährst du, was genau es mit dem Nachhaltigkeitsdreieck auf sich hat und warum das Konzept schon bald ausgedient haben könnte.
Was ist das Nachhaltigkeitsdreieck?
Dreiecke haben in unserer Gesellschaft einen schweren Stand. Egal, ob man im selben springt oder sich in einer Dreiecksbeziehung befindet – die geometrische Figur steht in der Regel für nichts Gutes.
Ganz anders sieht das mit dem Nachhaltigkeitsdreieck oder dem Dreieck der Nachhaltigkeit aus. Es dient nicht nur der Versinnbildlichung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Wenn es nur das wäre, könnten wir auch auf das gute, alte Drei-Säulen-Modell zurückgreifen, bei dem die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichberechtigt nebeneinander stehen und gemeinsam das Dach der Nachhaltigkeit tragen.
Allerdings könnte man beim Betrachten dieser drei Säulen auf die Idee kommen, dass das Dach auch dann noch getragen werden könnte, wenn man eine der Säulen entfernt oder kürzer macht und die anderen einfach anders ausrichtet.
Und genau da kommt unser Freund und Polygon, das Nachhaltigkeitsdreieck, ins Spiel. Als gleichschenkliges Dreieck, bei dem alle Kanten die exakt selbe Länge haben, steht es für die absolute Gleichwertigkeit aller Aspekte der Nachhaltigkeit. Fällt eine der Linien des Dreiecks ein bisschen kürzer aus als die anderen, ist es nicht mehr gleichschenklig, wie auch immer man die anderen Kanten versucht neu auszurichten.
Nachhaltigkeit ist keine Erfindung der Neuzeit
Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und ist alles andere als eine Erfindung der Neuzeit. Als im 18. Jahrhundert die grosse Energiekrise ausbrach, wurde Holz als Roh- und Brennstoff auf einmal richtig knapp, dem rapiden Anstieg der Bevölkerung und dem explosionsartigen Wachstum der Städte sei Dank.
Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645 bis 1714) schaute sich das Spiel eine Weile mit an, bevor er 1713 in seiner “Sylvicultura oeconomica” Prinzipien formulierte, in denen er von der “nachhaltenden Nutzung der Wälder” schrieb. Man müsse “eine sothane Conservation und Anbau des Holzes anstellen, dass es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe.”
Für eine lange Zeit spielte der Begriff Nachhaltigkeit allerdings ausschliesslich in der Forstwirtschaft eine Rolle.
Der Brundtland-Bericht
Das änderte sich im Jahr 1987 mit dem sogenannten Brundtland-Bericht, der unter dem Titel “Our Common Future” (“Unsere gemeinsame Zukunft”) veröffentlicht wurde. Darin sprach sich die UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland) erstmals für eine nachhaltige Entwicklung aus und formulierte eine entsprechende Definition.
Ins Deutsche übersetzt heisst es da: “Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen”.
Nachhaltigkeit in drei Dimensionen
Beim Thema “Nachhaltigkeit” denken die meisten wohl zu allererst an den Umwelt- und Klimaschutz. Das ist zwar nicht falsch, aber deutlich zu kurz gesprungen. Echte Nachhaltigkeit geht deutlich weiter und umfasst neben der Ökologie auch die Ökonomie und Soziales, auch bekannt als die drei Säulen der Nachhaltigkeit.
Ökologische Nachhaltigkeit
Ökologische Nachhaltigkeit bedeutet, die Umwelt und ihre natürlichen Ressourcen so gut wie möglich zu schützen und bewusster mit Wasser, Energie und endlichen Rohstoffen umzugehen. Ziel ist also die Erhaltung oder – im besten Fall – die Erhöhung der natürlichen Ressourcen. Das könnte sowohl durch eine Reduzierung des Verbrauchs, durch eine verbesserte Energieeffizienz oder durch die Nutzung von erneuerbaren Energieformen und Rohstoffen erreicht werden.
Darüber hinaus steht die Ökologiesäule für die Reduzierung der Risiken für Mensch und Umwelt, beispielsweise durch die Verwendung von umweltfreundlicheren Produkten und Produktionsverfahren.
Ökonomische Nachhaltigkeit
Die ökonomische Nachhaltigkeit hat die Maximierung des ökonomischen Ertrags bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der benötigten Eingangsressourcen zum Ziel.
Da materielle Ressourcen wie Rohstoffe in der Industrie nicht unendlich sind, sollten sie nicht verschwendet und vielmehr zielführend eingesetzt werden. Das bedingt die Entwicklung neuer Produktionswege, beispielsweise durch Recycling. Die Wiederverwendung von Rohstoffen ist deutlich schonender für die Ressourcen und obendrein deutlich billiger, da knappe Ressourcen meist extrem teure Ressourcen sind.
Soziale Nachhaltigkeit
Bei der sozialen Nachhaltigkeit geht es um den Menschen. Oberstes Ziel ist es, möglichst allen Menschen auf dem Planeten ein Leben in Würde zu ermöglichen. Dazu gehört unter anderem die Bekämpfung von Hunger und Armut, Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung sowie die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen.
Fehlende Priorisierung
Kritikern sind sowohl das Nachhaltigkeitsdreieck als auch die drei Säulen der Nachhaltigkeit ein Dorn im Auge, da dem Klima- und Umweltschutz die gleiche Wertigkeit zugesprochen wird wie beispielsweise der Wirtschaft. Ihrer Ansicht nach sollte die Ökologie das gemeinsame Fundament für alle anderen Dimensionen bilden. Der freigewordene Platz – ob Ecke oder Säule – würde mit der Dimension “Kultur” gefüllt.
Und das ergibt durchaus Sinn. Nur mit einer intakten Umwelt und einem Klima, das menschliches, tierisches und pflanzliches Leben ermöglicht, muss man sich überhaupt Gedanken um die anderen Dimensionen machen.
Nachfolger gesucht
Es könnte aber auch sein, dass das Nachhaltigkeitsdreieck schon bald ganz ausgedient hat und durch ein Viereck der Nachhaltigkeit ersetzt wird. Die neue, vierte Dimension wäre die Politik. Komplexe Probleme wie dauerhafte Armut oder die Marginalisierung und Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen sind vor allem politische Probleme, die sich nicht mit vorgefertigten Ansätzen lösen lassen.
Selbst die Bewerkstelligung scheinbar technischer Herausforderungen, beispielsweise der Bereitstellung sozialer Leistungen oder die Verwaltung der natürlichen Ressourcen, beginnt mit politischen Entscheidungen. Es ist also durchaus sinnvoll, neben Ökologie, Ökonomie, Sozialem und Kultur auch die Politik an den Tisch zu holen beziehungsweise in das Viereck der Nachhaltigkeit zu integrieren.
Im Idealfall würde die Dimension “Ökologie” dabei ein solides Fundament für das Viereck bilden, das sich aus den restlichen Dimensionen zusammensetzt.
Die Realität sieht heute aber leider immer noch anders aus und nicht selten wird der Ökonomie eine grössere Bedeutung zugemessen als Ökologie und Sozialem. Solange nur genügend neue Arbeitsplätze geschaffen werden, lässt sich jedes Projekt durchdrücken. Dann spielt es auf einmal keine Rolle, dass durch den Bau eines Staudamms hunderttausende Menschen eine neue Heimat suchen müssen und Millionen von Tieren und Pflanzen ihren Lebensraum verlieren. Solange der Rubel rollt, ist doch alles in Ordnung.
Zusammenfassung
Das Nachhaltigkeitsdreieck stellt grafisch dar, wie die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – miteinander verbunden sind und in direkter Beziehung zueinander stehen. Jeder Dimension wird dabei dieselbe Bedeutung zugemessen, zumindest in der Theorie. Kritikern ist das Nachhaltigkeitsdreieck zu wenig. Sie würden es gerne durch ein Nachhaltigkeitsviereck ersetzen, das sich aus den Dimensionen Ökonomie, Soziales, Politik und Kultur zusammensetzt und auf dem gemeinsamen Fundament “Umwelt- und Klimaschutz” steht.
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