Nachhaltigkeit und Umweltschutz stehen in der Schweiz scheinbar höher im Kurs als man das von den durch und durch bürgerlichen Eidgenossen gewohnt ist. Mit dem erdrutschartigen Sieg der Grünen und der Grün-Liberalen am vergangenen Sonntag deutet sich im Nationalrat eine Machtverschiebung zu Gunsten von Mutter Natur an. Nicht nur in Klimafragen werden die Grünen künftig ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben. Die Frage ist nur: Wie weit sind die Schweizer bereit, persönlichen Verzicht zu üben und sich einzuschränken? Denn sicher ist: Klimaschutz kostet Geld und ist kein Strandspaziergang.
Die Schweizer auf der grünen Welle
Meinungsforscher hatten den neuen grünen Trend schon vor Monaten ausgemacht und vorhergesagt. Und doch konnte am vergangenen Sonntag keiner so recht seinen Augen trauen, als die ersten Prognosen und Hochrechnungen eintrudelten. Die Grünen mit 13 Prozent auf dem Höhenflug und viertstärkste Kraft im Land? Das hat es noch nie gegeben. Im Verbund mit den Grün-Liberalen und den eingegrünten Sozialdemokraten kommt das Ökolager mit seiner ambitionierten Klima- und Umweltpolitik gar auf 37 Prozent der Stimmen.
21 mehr Sitze in der großen Kammer
Rechnet man das auf Mandate im Nationalrat mit seinen 200 Sitzen um, sieht man dort 82 Sitze und damit 21 mehr als noch vor vier Jahren ,besetzt mit Menschen, die nicht nur die Wirtschaft im Auge haben. Zählt man dann noch die Stimmen der Christlich-Bürgerlichen aus der Mitte dazu, reicht das unterm Strich sogar für eine knappe Mehrheit.
Landesweite Zuwächse
Wie groß die Machtverschiebung wirklich ist, steht noch gar nicht fest. Zwar haben die Grünen auch in der kleinen Kammer kräftig zugelegt. Über die genaue Sitzverteilung muss allerdings in vielen Kantonen ein zweiter Wahlgang entscheiden, da es für keinen der Kandidaten zur absoluten Mehrheit gereicht hat.
Der Dank gebührt der Jugend
Der Ausgang dieser Wahlen ist eine Entwicklung, die mit den “Fridays for future” begann. Was als Einzelaktion der Schwedin Greta Thunberg startete, verbreitete sich wie ein Lauffeuer über den Planeten: Anstatt in der Schule zu sitzen, gingen Millionen von Jugendlichen überall auf der Welt auf die Straße, um ihre Regierungen in die Verantwortung zu nehmen, so auch bei uns. Ihre Forderung: Hört endlich auf, die Wissenschaft zu ignorieren und ergreift Massnahmen!
Schweizer Rentner marschieren mit ihren Enkelkindern für’s Klima
Was eigentlich nicht mehr als eine kleine Kundgebung sein sollte, entwickelte sich zu spontanen Massendemos. Plötzlich mischten sich auch Rentner, junge Eltern mit Kindern und Geschäftsleute unter die Jungaktivisten und forderten lautstark ein Handeln seitens der Politik. Wer damals genau hingeschaut hat, der konnte es bereits riechen: Da setzt sich etwas in Bewegung, das so einfach nicht mehr aufzuhalten ist.
Nachhaltigkeit statt Ex und hopp
Wer sich davon überrascht zeigt, der hat in den vergangenen Jahren offensichtlich nicht richtig aufgepasst. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich die durchschnittliche Jahrestemperatur um 2 Grad Celsius erhöht. Der Klimawandel ist für die Schweiz kein theoretisches Konstrukt mehr – er ist die bittere Realität.
Gletscher schmelzen im Rekordtempo
Während sich weiter nördlich die Folgen der menschlichen Klimapolitik erst langsam in Form von Rekordsommern und Dürreperioden bemerkbar macht, schmelzen bei uns seit Jahrzehnten die Gletscher weg. Passiert ist dennoch nichts und der Verlust des ewigen Eises konnte nicht in politische Erfolge konvertiert werden. Das ist heute anders.
Volksinitiative für mehr Nachhaltigkeit
Heute will eine Volksinitiative die C02-Emission in der Schweiz bis zum Jahr 2050 auf null runterfahren – und sammelt in nur wenigen Monaten und in absoluter Rekordzeit die dafür erforderlichen Unterschriften. Vielen Bürgern scheint der Aspekt Nachhaltigkeit immer wichtiger und die Ex-und-hopp-Mentalität zunehmend ein Dorn im Auge zu sein. Ob sie bei auf die neu geborene Öko-Allianz setzen können und ob diese überhaupt etwas taugt, wird sich schon bald herausstellen.
Träges System vs. Wunsch nach Wandel
Zwar wird das noch nicht bei den Bundesratswahlen Mitte Dezember passieren, wenn die üblichen vier Verdächtigen wieder die Macht unter sich aufteilen und im Grunde genommen Volkes Willen mit Füssen treten. Jedoch kommt Anfang kommenden Jahres das erneut überholte Klimaschutzgesetz erst in den Nationalrat und wenig später vor das Volk, das zur Abstimmung gebeten wird. Dann müssen Regierende und Regierte unter Beweis stellen, wie ernst es ihnen wirklich mit dem Klimaschutz und der Nachhaltigkeit ist und dass die bisherigen Versprechen nicht mehr als Lippenbekenntnisse waren.
Ohne Verzicht geht es nicht
Denn eines ist sicher: Ohne Einschränkungen und persönlichen Verzicht ist das Projekt Klimaschutz nicht zu wuppen. Wenn die Wirtschaft bei jeder Umweltregulierung theatralisch aufheult und der Durschnittsschweizer eher nach Ausreden für seinen Kraftstoffverbrauch als nach Lösungen sucht, dann wird die grüne Welle schneller verebben als sie ihren Weg in unser schönes Land gefunden hat. Klimaschutz kostet Geld und macht nicht unbedingt Spaß. Wer dazu nicht bereit ist, braucht eigentlich nicht grün zu wählen.
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